Bettina Zimmermann mit Rainer Peters

con tutta forza
Bernd Alois Zimmermann

Ein persönliches Portrait
Dokumente, Briefe, Fotos, Zeitzeugen

Layout: Peter Mischung

wolke verlag
Hofheim

Beschreibung

Mit einer charakteristischen Partitur-Spielanweisung – „con tutta forza“: mit aller Kraft – betitelt Bettina Zimmermann die „persönliche Biografie“ ihres Vaters Bernd Alois Zimmermann (1918–1970), eines der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, mit dessen wichtigsten Kompositionen – darunter die Jahrhundert-Oper „Die Soldaten“ – auch eine Theorie der Kunst-Vielfalt und philosophische Überlegungen in die Musikgeschichte Einzug hielten, die als „Pluralismus“ und Metapher von der „Kugelgestalt der Zeit“ zu Begriffen wurden.

Die Autorin, die 18 war, als der Vater Suizid beging, verfasst mithilfe einer Fülle bisher unveröffentlichter Dokumente – Gesprächen mit Zeitgenossen, Fotos, Brief- und Noten-Autografen – ein formal und inhaltlich ungewöhnliches, detailreiches Porträt, in dem man auch den ambitionierten Fotografen und Zeichner Zimmermann kennenlernt, den glücklichen Familienmenschen und den mit der Materie ringenden Künstler, den Kommunikator und den Einsamen. Diese Erinnerungen helfen, die Selbstcharakteristik Zimmermanns als brisante „rheinische Mischung von Mönch und Dionysos“ und sein universelles Kunst-Denken besser zu verstehen – und die Intensität, mit der sein Leiden an der Zeit (und an sich) ins Werk eingegangen sind.

Begründung der Jury

„Es ist nicht an der Feststellung vorbeizukommen, daß wir mit einer ungeheuren Vielfalt von in den verschiedensten Zeiten entstandenen Bildungsgütern einträchtig zusammenleben, daß wir gleichzeitig in vielen Zeit- und Erlebnisschichten existieren, von denen die meisten weder voneinander ableitbar erscheinen noch miteinander zu verbinden sind. Und doch sind wir in diesem Netz von vielen verwirrenden und verwirrten Fäden – sagen wir es ruhig: geborgen.“

Das Verblüffende an dieser Diagnose ist, dass sie nicht in Zeiten globaler digitaler Vernetzung geäußert wurde, sondern vor 50 Jahren – in Bernd Alois Zimmermanns Aufsatz „Vom Handwerk des Komponisten“. Damals hat man Zimmermanns Zusammenschau aller Kulturen und Stile, die er im eigenen Werk verwirklichen wollte und mit dem philosophischen Bild von der „Kugelgestalt der Zeit“ untermauerte, mit Argwohn betrachtet. Zimmermann (1918–1970) hatte viele Gegner, denen die Integration mittelalterlicher, barocker und romantischer Musik in seine seriellen Strukturen unheimlich vorkam. Viele taten das mit seiner Arbeit für die Hörspielabteilungen des Rundfunks ab: Ihnen galt Zimmermann als Gebrauchsmusiker, der auch ernsthaft komponierte; seine rheinische Natur und sein katholischer Glaube – er selbst nannte sich „eine Mischung aus Mönch und Dionysos“ – passte damals eben nicht ins Bild vom modernen Komponistenhandwerk.

Tatsächlich war Zimmermann nicht nur ein Meister wie wenige, sondern eine höchst komplexe Persönlichkeit, die in sich die Erfahrung des Krieges, persönliche Probleme und eine universale Auffassung von der Funktion und Wirkung der Musik vereinte. Das haben vor einigen Jahrzehnten Forscher wie der frühverstorbene Klaus Ebbeke erkannt, während es danach wieder stiller wurde um Zimmermanns Werk. Und erst zum 100. Geburtstag des Komponisten hat das Buch von Zimmermann Tochter Bettina viele offene Fragen zum Werk und Leben ihres Vaters auf neue und originelle Art beantwortet.

„con tutta forza“ (eine typische Vortragsbezeichnung in Zimmermanns Musik) ist eine Mischung aus Erinnerungen, Analysen und Familienalbum (mit einer Fülle unveröffentlichter Fotos), wie es sie bisher nicht gegeben hat. MitarbeiterInnen und Komponisten kommen zu Wort, persönliche Erinnerungen aus dem familiären Bereich stehen neben Zeitbildern, Zimmermanns Begeisterung für den Jazz, den Tanz und die Sinnlichkeit Italiens, seine politische Haltung und seine psychischen Probleme, die zu seinem Freitod führten, werden offen und doch respektvoll behandelt. Als Koautor behilflich war der Rundfunkredakteur Rainer Peters, der musikalische Einordnungen und stilistische Hilfe beisteuerte und den persönlichen Blick im musiksozialen Zeitbild verankert. Ein wunderbares und großartig gestaltetes Komponistenbuch für Kenner und Liebhaber der neuen Musik, das den Künstler als Kind der deutschen Nachkriegszeit darstellt, die historisch gerade erst aufgearbeitet wird.

Das Buchdesign ist sehr persönlich wie professionell. Viele kleine und große Fotos sowie Notationen und Zeichnungen geben einen lebendigen Einblick in das Leben und Schaffen von B. A. Zimmermann. Der Charakter des Prozesshaften wird durch Abbildungen von Serien, Kontaktbögen, bewusst sichtbaren Bildkanten, Schrägen und teilweise gegen den Satzspiegel gesetzte Bilder unterstrichen. Dennoch kommt durch den hervorragenden, ruhigen Textsatz sowie die Beschränkung auf nur gelegentliche Farbakzente in einem weitgehend schwarzweißen Buch viel Linie und Rhythmus in den Seitenfluss. Papier, Umschlag und Druckqualität runden das schöne Buch ab. Es macht Freude, sich über die Gestaltung den Texten zu nähern.

Zurück